Ausfahrt Nizza : Roman

Pallavicini, Piersandro, 2020
Bücherei Internetcafé Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-85256-641-2
Verfasser Pallavicini, Piersandro Wikipedia
Beteiligte Personen Fleischanderl, Karin Wikipedia
Schlagworte Komödie, Italien, Oldie-Roadtrip, Nizza
Verlag Folio-Verl.
Ort Wien
Jahr 2020
Umfang 295 S.
Altersbeschränkung keine
Reihe TransferBibliothek
Reihenvermerk CXXI
Sprache deutsch
Verfasserangabe Piersandro Pallavicini. Aus dem Ital. von Karin Fleischanderl
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Gerhard Huber;
Fünf SeniorInnen unternehmen eine Reise in den Süden Frankreichs. (DR)
Cesare, ehemaliger Verlagsleiter, ist 73 Jahre alt. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, das machen ihm sein Verstand und sein Körper täglich aufs Neue bewusst. Die verbleibenden Tage wollen genossen sein in einer der Metropolen des savoir vivre in Südfrankreich. Gemeinsam mit seiner Frau und drei weiteren Reisegefährten rauscht er über die Autobahn, angetrieben vom 250 PS starken Sechszylinder seines Jaguar und von Haschisch, aus therapeutischen Gründen. Die Flucht vor sich selbst gelingt freilich nicht, auch wenn (oder weil?) alle Grenzen des Respekts vor dem eigenen Partner, den BegleiterInnen und den anderen Menschen auf dem Weg beharrlich ignoriert werden. Zurück bleibt ein demoralisiertes Grüppchen, angewiesen darauf, von den eigenen Kindern aus einem Sumpf von Einsamkeit und Bitterkeit wieder herausgeholt zu werden.
Gelungenes Älterwerden - ein Kinderspiel? Mitnichten. So stellt es der Autor, Universitätsprofessor für Nanotechnologie in der Medizin, selbst gerade mal 50 geworden, dar. Die Reise ins Ich gerät zum Fiasko, da helfen weder die eigene Belesenheit noch die materiellen Werte, die in den Jahrzehnten angehäuft wurden. Cesare wartet ebenso wie die LeserInnen vergeblich auf das große Abenteuer, die spannende Wendung, die entscheidende Erkenntnis. Ein subtiler, vielleicht gewollter Ansatz, den der Autor da verfolgt. Es bleibt ein Gefühl der Leere, der Enttäuschung, mit dem die Hauptperson des Romanes die LeserInnen wie mit einem unsichtbaren Band an sich fesselt. Und neugierig macht auf den nächsten Roman.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Da das Leben die Figuren steuert und nicht umgekehrt, kommt es am Lebensende meist zu Entgleisungen der skurrilen Art.
Piersandro Pallavicini kümmert sich in seinem Roman "Ausfahrt Nizza" um jenen Notausgang, durch den vorzugsweise in der Literatur die Figuren geschleust werden, wenn das Leben verbockt ist und zu Ende geht. Zwei gut abgehangene Ehepaare und ein Witwer als Ehe-Restl rasen in einer Oldie Rallye nach Nizza, um das erlauchte Ambiente, die Restaurants mit Senioren-Touch und die eleganten Kliniken unter Palmen zu genießen.
Schon die Anreise der Siebzigjährigen verläuft kriminell gefährlich, einen Ukrainischen LKW drangsalieren die Alten so heftig, dass dieser die Autobahn verlässt und sich für eine Schlägerei fertig macht.
Die Gespräche der fünf Abenteurer sind geprägt von Vergesslichkeit, Alt-Herrenwitzen, brummender Pseudo-Sexualität und äffischem Zelebrieren von Ticks und Marotten.
Der Ich-Erzähler berichtet stets von seinen Sehstörungen, den Schmerzen, gegen die es Hanf zu rauchen gilt und den abrupten Haken, die der Körper schlägt. "Das petit déjeuner verlieh mir denselben Schwung wie eine Entwässerungstablette." (35) Und beim Pissen im Sitzen kann es schon mal geschehen, dass vergessen wird, dabei die Hose hinunterzuschlagen.
Während sie der Oldie-Trupp in Nizza austobt, verliert sich Cesare, das erzählende Ich, in die Vergangenheit und die Tätigkeit als Verlagsleiter. In der Rückschau lässt sich nicht mehr genau unterscheiden, was ein ehemaliger Traum, eine Entscheidung oder ein Erlebnis gewesen ist. So machen sich damals lektorierte Romane selbständig, korrigierte Sätze werden zur Eigen-Fiktion, Sprüche und Witze können aus einem Text oder der eigenen Vergangenheit stammen aus jener Zeit, wo das männliche Ich "noch direkt auf die Möse losging." (54)
Hinter einem Ambiente aus Rollatoren, Rollstühlen und Leibstühlen tut ein Klinikareal auf, in dem die Helden von einst als Schatten herumhuschen. Einer davon könnte ein ehemals gefeierter Schriftsteller sein, der sich in Nichts aufgelöst hat. Cesare gerät kurz aus dem Häuschen, was, wenn der Schatten in der Klinik sein ehemaliges Schriftsteller-Zugpferd ist?
Aber der Star von damals ist abgereist, die alte Truppe säuft sich durch ein paar Bars und erzählt sich schweinische und Schwulen-Witze. Den Ich-Erzähler wirft es aus der Realität und er erlebt den Rest des Urlaubs in gezählten fünf Vollnarkosen. - Die Kinder holen ihre vertrottelten Eltern schließlich ab.
Piersandro Pallavicini erzählt mit hemmungsloser Jugendlichkeit vom Verlöschen der Hauptstränge des Lebens, einmal geht die Körperbefindlichkeit in die Groteske über, zum anderen entwickelt sich der Literaturbetrieb zu einen gigantischen Fake, worin es keine verlässlichen Aussagen mehr gibt. - Trotz aller Herbheit ein grandioser Zugang, mit dem generellen Verlöschen fertig zu werden.
Helmuth Schönauer