Der kleine Fischer Tong

Chen, Jianghong, 2014
Bücherei Internetcafé Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-89565-284-4
Verfasser Chen, Jianghong Wikipedia
Beteiligte Personen Scheffel, Tobias Wikipedia
Schlagworte Tod, Fischer
Verlag Moritz-Verl.
Ort Frankfurt a. M.
Jahr 2014
Umfang 45 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Chen Jianghong. Aus dem Franz. von Tobias Scheffel
Illustrationsang überw. Ill. (farb.)
Annotation Quelle: 1000 und 1 Buch (http://www.1001buch.at/);
Autor: Sarah Wildeisen;
Der Himmel ist schwarz verfärbt, die Vögel fliehen Richtung Ufer, kein Wetter zum Fischen. Doch der kleine Fischer Tong trotzt der Warnung des abwesenden Vaters. Mit seinem Boot fährt er aufs Meer, hebt trotzig die Faust. Tongs Mienenspiel zeigt aufsässigen Triumpf, als ein starker Ruck an der ausgeworfenen Angelschnur einen großen Fang verspricht. Kaum nimmt er das Wüten des Wetters wahr, als eine haushohe Welle über dem Boot zusammenbricht. Er hält die Angelschnur fest. Doch der Schreck ist groß: Sein Fang steigt als belebtes Skelett aus dem Wasser. Tong zwingt das Skelett zurück ins Meer. Als es ihm dennoch bis zur heimischen Bambushütte folgt, wird Tong vor Schreck ohnmächtig.
Eine chinesische Gruselgeschichte? Nicht ganz, denn das Skelett zeigt sich überraschend fürsorglich, trägt den besinnungslosen Jungen ins Bett, deckt ihn zu und zündet eine Kerze an. Als sein hohler Blick jedoch auf einen Spiegel fällt, zerschlägt es diesen wütend und sinkt entkräftet zusammen. Nun wendet sich die Geschichte: Tong legt dem zitternden Skelett seine Decke um, macht Feuer und holt Essen ganz chinesisch-buddhistischem Brauch entsprechend. Doch während diese Gesten der Ahnenverehrung den toten Geist in seine formlose Welt zurückschicken sollten, nimmt Tongs Skelett Gestalt an: Der Knochenmann transformiert zum Mann aus Fleisch und Blut, einem berühmten Seefahrer, dessen Schiff einst im Sturm unterging. Für den vaterlosen Tong baut der Seefahrer, der einen Sohn in Tongs Alter hatte, ein navigierbares Segelboot. Gemeinsam werfen sie in einer ruhigen Bucht ein Netz aus und fangen herrlich bunte Fische.
Ob man Chens Bilderbuch als Märchen oder als Begegnung eines Kindes mit dem eigenen Tod deuten mag, seine Bildschöpfungen drücken kindliche Gefühlswelten aus. So zeigt eine detaillierte Tuschezeichnung auf der ersten Doppelseite Tong samt seiner Hütte am linken Bildrand wie einen Fremdkörper gegenüber einer weiten Bildfläche, die von einem Panorama grauer Hochhäuser und einem dahindümpelnden Meer ausgefüllt ist. Ein Bild, das weniger einen alleinlebenden, kleinen Jungen meint, als die Einsamkeit eines Kindes angesichts einer großen (Erwachsenen-)Welt, die statt Antworten nur Warnungen bereithält. Indem Tong sich selbst in Lebensgefahr bringt und dem Tod ins Auge schaut, gelingt ihm eine Auseinandersetzung mit dem und Annäherung an den Tod. Die chinesisch-traditionelle Fürsorge für die Verstorbenen bietet ein Mittel, die Toten, aber auch die eigene Angst zu besänftigen. Die westliche Zivilisation hingegen hat den Tod aus dem Alltag verdrängt. Vielleicht braucht es Bilderbücher wie dieses, das Ängste heraufbeschwört, um sie bildgewaltig zu bannen und ihnen den Schrecken zu nehmen.

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Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Heidi Lexe;
Nach dem Sturm steht dem kleinen Fischer Tong eine Passage in eine andere Welt bevor; und ein ebenso schauriger wie berührender Begleiter zur Seite. (ab 6) (JD)
Das Umblättern ist das wohl prägendste dramaturgische Element des Bilderbuches. Und hier wird es mit schaurigem Überraschungseffekt eingesetzt, wenn der Blick zuerst noch auf einen mit Sturm und hohem Seegang kämpfenden Fischer fällt, man mit dem Umblättern aber in die schwarzen Augenlöcher eines Totenkopfes sieht. Ein Skelett erhebt sich aus dem Wasser und hängt sich an das Boot des Fischers, der flieht, aber nicht entkommt.
In seinen mit Tusche auf Reispapier gezeichneten, großformatigen Bildtafeln führt der in Paris lebende Künstler diesmal hinein in eine Welt zwischen Leben und Tod und fordert die Interpretationsbereitschaft seiner RezipientInnen heraus. Ein naturgewaltiger Gestus wird an den Anfang gestellt, wenn der kleine Fischer Tong trotz Sturm lossegelt. Mit radikalem Schnitt jedoch wird zwischen Naturgewalt und Mythos gewechselt, zwischen dem Erklärbaren und dem nur noch intuitiv zu Begreifenden. Dem Tod im Sturm anheimfallend und doch nicht tot, trifft Tong in einer als Zwischenwelt interpretierbaren schwarzen See auf einen weiteren Untoten. Was daraus entsteht, ist eine berührende Beziehungsgeschichte, in der die beiden einander zu neuer Lebendigkeit verhelfen: Man wärmt und nährt einander, das Skelett wandelt sich zurück in einen Mann in der Kleidung des Fischers.
Gelesen werden kann in ihm der einst ertrunkene Vater des kleinen Tong gleichermaßen wie der Menschenfischer schlechthin; denn dieser Fischer ist es, der ein neues In-Beziehung-Sein für Tong ermöglicht. Erst mit ihm eröffnet sich die Fülle eines Lebens, das jenseits der Durchfahrt im Roten Felsen - und damit wohl jenseits eines Tores in eine andere Welt - liegt. Noch nie wurde der Weg in dieses Jenseits durch eine davor liegende Durchgangswelt im Bilderbuch auf so expressive und faszinierende Art gestaltet. Ein Meisterwerk! Sehr zu empfehlen ab 6 Jahren.

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Quelle: STUBE (http://www.stube.at/);
Ist das Skelett, das dem stürmischen Meer entsteigt, in dem das Boot des kleinen Fischers Tong soeben versinkt, der Tod? Oder sein Tongs Tod? Oder ein Toter? Ein Untoter? Wie auch immer man die schaurige Gestalt interpretiert, sie führt mitten hinein in ein mythisches Szenario: Im Spannungsfeld zwischen Todesnähe und Lebenskraft erwächst die Geschichte einer Grenzerfahrung festgehalten in expressiven Tuschebildern auf Reispapier. Tong und das langsam wieder zum Leben erwachende Skelett geraten in eine Art Zwischenwelt, in der sie aufeinander zurückgeworfen werden. In eine Zwischenwelt, die Tongs vertrauter Welt gleicht und dennoch aus Raum und Zeit fällt. In eine Zwischenwelt, die aus Kälte und Wärme gleichermaßen gebaut ist und erst überwunden werden kann, indem die beiden einander retten. Erst dann wartet hinter der Passage im Felsen die eigentliche Fülle des weiten Meeres.
*STUBE*

Ein Bilderbuch Vier Lesarten
Der kleine Fischer Tong und ein Toter: In beinahe allen seinen Bilderbüchern lässt der aus China stammende, und seit vielen Jahren in Paris lebende Illustrator Chen Jianghong den Charakter alter Erzählungen mitschwingen, den Charakter von wenn man so will alten Mythen. So auch hier, wenn er den kleinen Fischer auf große Fahrt und damit in eine Welt jenseits des Realen schickt; oder sogar wortwörtlich ins Jenseits? Aber der Reihe nach: Chen Jianghong führt vorerst bildlich in eine von Hochhäusern bestimmte Stadt und lässt nur an deren Peripherie eine Bambushütte erkennen. Hier, an der Schwelle zum Meer und auch mit dem und durch das Meer lebt der kleine Tong. Der eines Tages zum Fischen aufbricht, obwohl gewaltige Wolken sich am Horizont ballen. Tong erinnerte sich, was sein Vater immer gesagt hatte: Man darf nie aufs Meer hinaus, wenn die Wolken schwarz wie Ruß sind und die Vögel ans Ufer flüchten. Es gehört zu den unausgesprochenen Grundsätzen des Erwachsenwerdens, sich nicht an den Ratschlägen der Väter zu orientieren. Auch dann nicht, wenn diese abwesend oder entschwunden sind, vielleicht gar nicht mehr leben, ja vielleicht sogar selbst draußen am Meer geblieben sind. Dieserart lässt sich erklären, dass Tong dennoch auf Fischfang geht, und naturgemäß in einen entsetzlichen Seesturm gerät; bis eine Riesenwelle über ihm zusammenbricht und Tong die Augen schließt. Jenem Moment, in dem Tong die Augen wieder öffnet (und Chen Jianghong einen scheinbaren Genrewechsel hin zum Horror vornimmt), folgt mit dem Umblättern der dramaturgische Höhepunkt des Bilderbuches: Die Fratze eines Skeletts breitet sich über die gesamte Seite (und darüber) aus und zeigt an: Ton 2000 g ist in einer Welt der Untoten gelandet. Der andere Tote, der scheinbar schon länger in dieser Zwischenwelt weilt, krallt sich wie auch Tong an das kleine Boot und damit ans Leben. Nach dramatischen Szenen landen beide an Land: Tong ohnmächtig vor Entsetzen und das Skelett scheinbar in rasendem Furor. Es bleibt unklar, ob man sich am ursprünglichen Strand oder in einer Art Parallelwelt befindet. Denn ab hier entwickelt Chen Jianghong eine Geschichte der gegenseitigen Erlösung und des heil Werdens: Vorerst übernimmt das Skelett, das seinen eigenen Anblick nicht ertragen kann, die Fürsorge für den ängstlichen, zitternden Tong; zu neuen Kräften gekommen nimmt der kleine Fischer sich des skelettösen Jammerbilds an und kümmert sich um den (die) an sich selbst Leidende(n). Dieserart gelangen beider zu neuer Kraft, ja sogar zu neuem Leben, denn durch reichlich gegrillten Fisch und Suppe offeriert von jenem, der selbst kaum etwas hat erlangt das Skelett sein menschliches (männliches) Äußeres zurück. Kann das Leben der beiden, die nun wie Vater und Sohn, wie Schüler und Meister erscheinen, von dieser Welt sein? Viel eher scheint das fürsorgliche aneinander Handeln die Voraussetzung dafür zu sein, sich aus der Welt der Untoten zu befreien und in jene der Toten zu gelangen: Die beiden breiten ihre Biografien voreinander aus und durchsegeln miteinander eine schmale, dunkle Passage. Ganz ihrem eigenen Person Sein verpflichtet und in Beziehung zueinander stehend, finden sie dahinter die Fülle des (ewigen) Lebens: Ein Netz, in dem die farbenprächtigsten aller Fische sich verfangen haben; und das wohl niemand anderer ausgeworfen haben kann, als ein wahrer Menschenfischer.
Der kleine Fischer Tong und der Tod: Der personifizierte Tod, der seine Opfer abholt, hat in Wien Tradition man denke an das Musical Elisabeth oder Ludwig Hirschs bekanntes Lied Großer schwarzer Vogel. Fischer Tong ist zwar kein Wiener, aber auch er sucht die Begegnung mit dem dunklen Verführer: Trotz Warnung fährt er hinaus aufs Meer, und der Kampf mit den Fischen wird zum Kampf ums Überleben. Hilflos den Elementen ausgesetzt und am Ende seiner Kräfte, sieht der Fischer schließlich den Tod vor sich. Er will Tong in die Fluten ziehen, ins nasse Grab ungezählter Fischer, die ihn herausgefordert haben. Urangst verleiht Tong neue Kräfte: Er stößt das Skelett von Bord und flieht an den Strand. Der Tod begleitet ihn. Er weiß, dass er gewinnt der Kampf gegen das Unwetter hat den kleinen Fischer zu sehr erschöpft. Dem Tod ins Auge sehen und davon berichten können heißt nicht, ihm entkommen zu sein. Ohnmächtig bricht der Junge zusammen, als er den Verfolger sieht. Auch er weiß jetzt um sein Schicksal. Das Skelett hat Mitleid eine beliebte Eigenschaft des personifizierten Todes und trägt Tong in sein Bett, zündet noch einmal die (Lebens-?)Kerze an. Wie viele Kinder hat er schon mitgenommen, Leben, die, das spürt er wohl, noch nicht hätten enden sollen? Letzten Endes erlösen sie sich wohl gegenseitig: Tong akzeptiert das Ende und nimmt den Tod als Gast an. Das Skelett darf sich seiner Schreckensgestalt entledigen und zum Fischer werden, dem das Kind furchtlos ins Himmelsmeer folgt.
Der kleine Fischer Tong und sein Tod: Einen großen Brocken hat der kleine Fischer Tong an der Angel, etwas einzigartig Großes aber keinen Fisch. Denn erst nachdem Tong die Angel ausgeworfen und tatsächlich etwas gefangen hat, bricht der Sturm los und verfolgt man Tongs Angelschnur aufmerksam, zeigt sich, dass er sein Schicksal an der Angel hat. Das man auch als seinen ganz persönlichen Tod lesen kann: Plötzlich brach eine Riesenwelle über ihm zusammen und Tong schloss die Augen. Als er sie wieder öffnen konnte, stieß er einen entsetzlichen Schrei aus. An dieser Bruchstelle (des Lebens) visualisiert Chen Jianghong das Skelett aus dem Meer über fast eine Seite gebreitet in einem zweiten Panel zeigt sich eine feine (Angel-)Schnur zwischen ihm und Tong. Hat der kleine Fischer seinen eigenen Tod gesucht, als aufs Meer gefahren ist gegen die Warnung seines Vaters? Eine mögliche Lesart, die auch die Frage aufwirft: Wer verfolgt hier wen? Deutet man alles, was danach kommt als Jenseits, kann die Fischerhütte als jene Zwischenzeit verstanden werden, in der das eigene tote Dasein, das Chen Jianghong im Skelett konkretisiert, erst akzeptiert werden muss. Der Künstler wählt hier repetitive Momente: wie Tong erschrickt auch das Skelett vor sich selbst, als es sich im Spiegel erkennt, beide decken einander zu. Der Versöhnung schließlich ist eine ganze Doppelseite gewidmet und im Gegensatz zu den graublauen Meeresbildern in tiefes Rot getönt. Erst jetzt offenbart das Skelett sein Wesen als Fischer, als vollendete Zukunft von Tong. Im christlichen Glauben ist das Jenseits zeitlos, in ihm sind wir nicht nur das, was wir waren, sondern auch das, was wir werden können. Erst in Versöhnung zwischen diesen Möglichkeiten kann Himmel passieren. Die dortige Fülle des Lebens deutet sich hier als übervolles Fischernetz, der endlich friedlichen See und der Aussicht jemanden immer an deiner Seite zu haben.
Der kleine Fischer Tong und kein Tod: Während in den bisherigen Beiträgen verschiedenste Lesarten des Bilderbuches rund um den Tod ausgelotet wurden (wie es ja in einem Buch, dessen zentrale Hauptfigur neben dem titelgebenden Kind ein Skelett ist, durchaus naheliegend ist) soll abschließend eine ganz andere Interpretationsvariante zur Diskussion gestellt werden, die weniger an mythische Traditionen rund um die Figur des Todes und mehr an das märchenhafte Motiv der Erlösung anknüpft. Jemand, der tot war, wird durch einen Kuss wieder zum Leben erweckt so kennen wir es aus Schneewittchen, ein von den Brüdern Grimm bekannt gemachtes Volksmärchen, das in den letzten Jahren in zahlreichen Bilderbuchvarianten inszeniert wurde. Jemand, der böse und hässlich ist, wird durch die Kraft der Liebe in seine menschliche Gestalt zurück verwandelt so geschieht es in Die Schöne und das Biest, einem französischen Märchen, das in der Disneyversion ungemein populär ist und erst kürzlich in einer Verfilmung mit Vincent Cassel und Léa Seydoux im Kino zu sehen war. Und ganz in dieser märchenhaften Tradition könnte ja auch das Geschehen in der Der kleine Fischer Tong gelesen werden: Das Skelett (denn ob es tatsächlich der Tod oder ein Toter ist, wird ja im Text nicht verraten) wird durch das Mitgefühl und die konkrete Hilfestellung des kleinen Tong in seine menschliche Gestalt zurück verwandelt und dadurch erlöst. Die Ausfahrt, die die beiden anschließend machen, wäre dann in diesem Sinne keine Reise ins Jenseits oder in eine magische Zwischenwelt, sondern vielmehr in die Fülle des Lebens.
Kröte des Monats
*STUBE* Heidi Lexe, Christina Ulm, Simone Weiss, Kathrin Wexberg