Toffee. Wie Glücklichsein von außen aussieht

Crossan, Sarah, 2023
Bücherei Internetcafé Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-446-27593-5
Verfasser Crossan, Sarah Wikipedia
Beteiligte Personen Schäfer, Beate Wikipedia
Schlagworte Toleranz, Altern, Familie, Demenz, Verständnis, Ausreisserin, glücklich sein
Verlag Hanser
Ort München
Jahr 2023
Umfang 351 Seiten
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Sarah Crossan ; aus dem Englischen von Beate Schäfer
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Cornelia Stahl;
Heilsame Geschichten über Freundschaft. (ab 16) (DR)
Wenn uns Nachrichten von Kriegen, Krisen und vom Scheitern an den Rand der Belastbarkeit bringen, helfen gute Geschichten: Geschichten von Freundschaft, Vertrauen und Zuversicht. Geschichten können heilsam sein. Dieses Gefühl erlebte ich während vorliegender Lektüre, die von der Freundschaft zwischen zwei Frauen erzählt, die sich jeweils in einer Umbruchphase befinden: Allison, die von ihrem unberechenbaren Vater davonläuft, und Marla, die nach und nach ihr Gedächtnis verliert. Alison findet Zuflucht in Marlas Haus und es entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden. Dass Marla Allison für ihre Freundin Toffee hält, kommt beiden zugute. Ausdrucksstark lesen sich die in Versform verfassten Texte: »Dann laufe ich zu ihr und streiche mit den Fingerspitzen über ihren Arm. Ich bin da. Alles in Ordnung.« (S. 6)
Das Buch vermittelt Zusammenhalt und proklamiert Werte wie Freundschaft und Solidarität. Empfehlenswert!

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Quelle: STUBE (http://www.stube.at/);
Lyrik-Buch des Monats April 2023
Leerstellen füllen
Mit der Erinnerung verschwinden wir. Nicht nur mit der Erinnerung an uns, auch mit der Erinnerung in uns.
Dabei sind Erinnerungen etwas Seltsames. Sie sind die Rexgläser, in die wir das Vergangene gestopft haben; klein geschnitten, mit Essig übergossen und eigenen Gewürzen abgeschmeckt.
Manche Gläser werden Jahre später wieder aus der Speisekammer geholt und mehr oder weniger genussvoll ausgelöffelt, manche sind undicht geworden und zur Hälfte verdampft. Wieder andere sind im Regal ganz nach hinten gerutscht und bleiben dort wohl unentdeckt.
Marlas Vorrat an eingerexten Erinnerungen ist auf einige wenige Gläschen zusammengeschrumpft. So vergisst sie, wo das Salz steht. Oder sie vergisst, dass nicht mehr alle Familienmitglieder am Leben sind. An besonderen Tagen vergisst sie aber auch, dass sie alt ist und alleine in einem zu großen Haus mit zu vielen Dingen lebt. Dann ist sie wieder die sprudelnde, tanzhungrige, junge Frau, die Mami nicht um Erlaubnis bitten will, um Jungs treffen zu dürfen. Marla wohnt in den Schichten der Zeit, die sich um sie gestapelt haben. Jeden Tag und jede Stunde in einer anderen. Und während Marla zwischen Erinnern und Vergessen ihre Realitäten durchlebt, dringt da ein neuer Mensch in ihre Gartenhütte, ihr Haus und schließlich ihr Leben ein.
Allison will den Vergangenheitsspuren, die sich als Bügeleisenabdruck in ihrem Gesicht manifestiert haben, davonlaufen. Will das Geschehene aus ihrem Leben streichen und die Wohligkeit einer stabilen Umgebung einatmen können.
In Marlas Haus mit den vielen Dingen findet sie eine Bleibe. Und Marla findet in der 15-jährigen Allison mit den Vergangenheitsspuren ihre Jugendfreundin Toffee.
Wie es von da an weitergeht?
Es liegt die Schuld der Erzählenden eng an dem Wunsch, etwas besser zu machen. Allison wird zur Wohnungsbesetzerin und zur Sorgenden, zur Freundin und zum Fremdkörper, der je nach Zeitschicht Geborgenheit oder Angst in der alten Frau auslöst.
Sie wird aber vor allem zu einem: Zur Füllmenge im Leben einer Frau, deren Existenz nach und nach zur Leerstelle gerät.
Und dann ist da noch die besondere Form.
Aber reicht es,
Text allein
durch Formatierungskniffe
in die Poesie zu schmeicheln?
Nicht in allen literarischen Beispielen deren Zahl in den letzten Jahren erfreulicherweise anstieg gelingt die Übung. Oft dann nicht, wenn aus der Ursprungssprache heraus übersetzt wird. Aber dass es sich bei Toffee um einen Versroman handelt, macht das Lesen nach den ersten blocksatzverwöhnten Irritationen bald zur formvollendeten Lektüreerfahrung. Formatierung und Inhalt rhythmisieren sich, verlebendigen die oft knappen Regungen und Gedanken der Ich-Erzählerin und brillieren in der Übersetzung durch Beate Schäfer. So werden auch die ganz großen seelischen Brüche in Allisons Erzählen in stimmstarke Minimalismen gepackt:
"Alles, was Dad sagte, war mir ein Rätsel
Leerstellen ... und Andeutungen, sich kreuzende Wörter
[...]
Die Lösungen waren nie klar.
Im Kreuzworträtseln bin ich gut.
Aber meinen Vater habe ich nie verstanden." (S. 83)
Vergessen und erinnern, Rexgläser oder leere Regale beide Frauen changieren auf ihre Weisen zwischen Identitäten und zwischen dem Willen, das Erlebte zu bewahren, zu verändern oder ganz hinter sich zu lassen. So steht die Ohnmacht des Vergessens gleich neben dem Vergessen als gefühlsnivellierender Bewältigungsstrategie und bringt Gänsehautsätze mit sich:
"Manchmal vergaß ich, dass mein Vater war, wie er war,
und deshalb hatte ich ihn lieb." (S. 134)
Die Vaterfigur als unbeherrschter Brutalo, als bemitleidenswerte Täterfigur, die auf Frust nur mit Gewalt zu antworten im Stande ist, ist der Hort der Verunsicherung und der (auch körperlichen) Qualen, die Allison mit sich davon und in Marlas Haus trägt. Schlussendlich ist ihr Vergessen nur ein zwischenzeitliches; den Vater wieder lieb zu haben und dabei wiedergeliebt zu werden, liefe der Erzählung gegen den Strich. Und auch Marlas Verlust des Erlebten, die Nichtbereitschaft des Sohnes zur Beschäftigung mit der demenzkranken Mutter, die Aussichtslosigkeit, wieder als selbstbestimmter und vertrauensvoller Mensch wahrgenommen zu werden, sind Bausteine einer Narration, die sich nicht um Beschönigungen schert.
Sarah Crossan verteilt keine Happy Ends, streut nicht einmal Hoffnung aus vollen Taschen. Aber dennoch wärmt der Rest an Zuversicht, der über die letzte Seite hinweg hinauserzählt und uns mit dem bittersüßen Geschmack nach ROSINENBRÖTCHEN zurücklässt.
"Knirschende Teigkruste,
saftige Rosinen,
geschmolzene Butter,
alles mischt sich
in meinem Mund.
Noch nie habe ich
etwas Köstlicheres
[gegessen]"
(S. 34)
gelesen.
*STUBE Iris Gassenbauer*
Seitenweise 2023
Allison versucht zu vergessen: ihren Alltag mit einem gewalttätigen Vater, die Armut, den Hunger. Marla vergisst: ihre Gegenwart, das, was vor Kurzem passiert ist, das, was kommen wird. Als Allison von zu Hause ausreißt, findet sie in Marlas Haus Unterschlupf der Beginn eines geheimen Zusammenlebens mit einer alten, demenzkranken Frau, das täglich einer neuen Annäherung bedarf und dazu führt, dass sich Allison verstärkt für Marla verantwortlich fühlt. Als ihr Geheimnis aufzufliegen droht, muss sich Marla zwischen Bleiben und Verschwinden entscheiden. Ein fragmentarisch und gefühlvoll erzählter Versroman über zwei unterschiedliche Schicksale, die ein Stück ihres Lebensweges gemeinsam gehen.
*STUBE*
Allison versucht zu vergessen: ihren Alltag mit einem gewalttätigen Vater in einer unstabilen Familie, die Armut, den Hunger. Marla vergisst: ihre Gegenwart, das war vor kurzem passiert ist, das was kommen wird. Als Allison von zu Hause ausreißt, findet sie in Marlas Haus Unterschlupf und so beginnt das geheime Zusammenleben mit einer alten, demenzkranken Frau. Eine Annährung findet täglich aufs Neue statt und Allison bemerkt, dass Marla in ihrem Leben bald einen bedeutenden Part einnimmt. Als ihr Geheimnis aufzufliegen droht und Marla weg soll, muss sie sich zwischen bleiben und verschwinden entscheiden. Fragmentarisch und gefühlvoll erzählter Versroman über das Finden und Verlieren.
*STUBE Iris Gassenbauer*