Architektur einer Liebe : Roman

Schlag, Evelyn, 2006
Bücherei Internetcafé Korneuburg
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Medienart Buch
ISBN 978-3-552-05388-5
Verfasser SCHLAG, Evelyn Wikipedia
Schlagworte Beziehung, Erfolg, St. Petersburg, Architektin
Verlag Zsolnay
Ort Wien
Jahr 2006
Umfang 363 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Evelyn Schlag
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Christina Gastager-Repolust;
Blaupausen der Lebensgestaltung, der Grammatik unterschiedlicher Einsamkeiten. (DR)

Barbara Frischmuth hat mit ihrem Roman "Kai oder die Liebe zu den Modellen" einst Lebensmodelle vorgeführt und dabei die Frage nach Liebe, Einsamkeit und Verantwortung in alten und neuen Rollen gestellt. Evelyn Schlag scheint hier weiter zu erzählen, sie stellt eine starke, scheinbar autonome Frau in den Mittelpunkt ihres Romans: Vittoria Monti - Italienerin, Vorbild junger Studentinnen und von der Familie liebevoll Toria genannt - verliebt sich bedingungslos und stellt damit ihren Lebensplan in Frage. Welche Sprache verbindet die beiden Liebenden, wie darf die Ex-Frau über ihre Ex-Schwiegermutter witzeln, welche Ansprüche haben Kinder, wie viel Verantwortung tragen Väter für ihre Kinder?
Evelyn Schlag zeigt ein offenes Haus, zeigt Menschen auf ihren Wegen zwischen den Grenzen des Gewohnten und des Gewünschten, Erträumten. Dazwischen drappiert die Autorin die simple Realität, die Anrufe der Mutter zwischen Argwohn, Demenz und Wohlwollen, ein Geheimnis, das sich langsam aus seiner Verkleidung schält. Ja, eine neue Liebe zu neu-alten Modellen, wieder ein wichtiges Buch für alle Öffentlichen Bibliotheken und Literaturkreise, das in seiner Radikalität überzeugt: "Es ist mir egal, wer uns gezeugt hat. Ich verantworte mich schon selbst."

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Florian Bauer;
Von der grausamen Unbewusstheit
Evelyn Schlags Roman "Architektur einer Liebe"
In Romanen liest man gute und schlechte Dialoge. Die guten leben von der Spannung zwischen Gesagtem und Ungesagtem, zwischen dem Offensichtlichen und dem darunter Liegenden. Und sie leben vom Spontanen, Unerwarteten, vom Beiläufigen. Beide Aspekte bezeugen die Nähe des Dialogs zum Unbewussten - er eignet sich somit besonders für ein Schreiben, das sich an die Grenzen des Sagbaren heranwagt.
Die Dialoge in Evelyn Schlags neuem Buch "Architektur einer Liebe" gehören zu den besten, die es in der Literatur von heute zu lesen gibt. In ihnen setzt sich das Gesagte immer wieder unerwartet im Ungesagten fort - wie schon in den beiden Vorgängerromanen wird dies durch fehlende Anführungszeichen verdeutlicht. Im schnellen Wechsel der Gesprächsteile wird so das Verborgene, das zwischen den Zeilen vielleicht mitsprechen konnte, gehoben. So schwingen in der Rede der Protagonistin Vittoria Monti, einer Pariser Stararchitektin, verdrängt geglaubte Erinnerungen mit, als sie sagt: Ich habe Panikattacken. - Sie hörte ihre Stimme, die sie an die Stimme im Beichtabteil erinnerte, vor unzähligen Jahren. Das Bekennen. Sie lachte nervös und traurig. - Ich habe sechs oder sieben Mal schwere Panikattacken gehabt. Auf einer Rolltreppe in St. Petersburg, beim Überqueren von Straßen, beim Autofahren. Schlags Dialoge führen hinein ins Unbewusste, in das verborgene Leben. () Das wir nicht herzeigen. Über das wir nicht sprechen.
Eines der wiederkehrenden Themen, auf as die Sprechenden so im Buch immer wieder gestoßen werden, ist das unbewusste Begehren. So wird eine bekennende Feministin, Journalistin einer Pariser Frauenzeitschrift, dabei ertappt, wie sie, unmittelbar nachdem sie vom Kampf gegen die männliche Dominanz spricht, dem Mund des attraktiven Kellners, der sie gerade bedient, verfällt. Das heimliche Begehren blitzt nun mal gerade in den Momenten auf, in denen die Figuren sich unbeobachtet glauben. Die genaue Beobachtung Schlags greift dieses Begehren in seiner Flüchtigkeit auf und macht es reflektierbar.
Hand in Hand mit dem heimlichen Begehren taucht eine grausame Unbewusstheit auf, die zwischen Männern und Frauen herrscht. Auch sie blitzt oft unerwartet auf, wie zum Beispiel in der Schülervorstellung eines Nestroysketches: Das Mädchen, das Pauline spielte, krümmte bei jedem Satz den Rücken und streckte den Kopf vor, mit beiden Händen plädierend. Die Rolle war liebliches Aufbegehren. Sätze, die übriggeblieben waren, nachdem Nestroy alle geistreichen Wortspiele für die Männer aufgebraucht hatte. () Scheiße-Scheiße, gib ihr einen einzigen lebendigen Satz, Nestroy, du Arsch.
Von dieser grausamen Unbewusstheit wird das Leben der international renommierten Stararchitektin Monti (50) und des weniger bekannten Wiener Architekten Wolf Lewinter (51), dessen Domäne ein konträres Feld, nämlich die regionale Architektur ist, natürlich nicht verschont.
Sie will sein, wie sie immer war: Verlässlich. Stark. Hart. Und kämpft dabei nicht nur gegen die vielen männlichen Mitbewerber, sondern auch mit sich selbst, mit diesem verdammten Körper einer Frau, der nur Probleme macht, alles noch schwieriger macht, als es ohnehin ist.
Und er will seine Rolle als Vater eines elfjährigen Sohnes ernst nehmen, scheitert jedoch ständig daran. Und er hat Angst vor der Beziehung mit Vittoria: sie ist für ihn eine Frau, die er glaubt, nicht verkraften zu können. Er denkt, sie würde sein Leben so verändern, dass nichts mehr davon übrig bliebe. Männliche Ängste.
Und trotz dieser Belastungen blitzt in der Beziehung der beiden - bei der klarer konturierten Vittoria offensichtlicher als bei Wolf - manchmal eine Leichtigkeit auf, die vom Wunsch getragen wird, sich endlich selbst zu verantworten, herauszutreten aus der Reihe der Vorfahren und Eingeübtes abzulegen.
Es ist eine gute Idee der Autorin, so dezidiert auf die Architektur zu referieren. Den Blick der Architektinnen und Architekten im Buch zeichnet vor allem präzise Wahrnehmung aus. Evelyn Schlag erinnert mit ihrem Buch daran, dass sprachliche Präzision mit einer klaren Begrifflichkeit für das Gegenständliche beginnt, hier für Häuser und Räume. Sie steht damit in einer langen Tradition österreichischer Literatur. Und die Autorin führt das Publikum konsequenterweise mit derselben Genauigkeit über das Konkrete hinaus in den Bereich des Inneren. Die beruflich bedingte scharfe Wahrnehmung der Protagonisten wird so übertragen in eine genaue Wahrnehmung des eigenen Ichs und das Gegenübers.
Die präzise Sprache in "Architektur einer Liebe" widersetzt sich damit eingeübten Kommunikationsgesten und ermöglicht jene Dialoge, die so weit hineindrängen ins verborgene Leben der beiden Liebenden.